Der erste Teil: Über die Zehn Gebote

Das erste Gebot: Du sollst nicht andere Götter haben.

Das bedeutet: Du sollst mich alleine für deinen Gott halten. Was ist damit gesagt und wie ist es zu verstehen? Was heißt einen Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Gott nennt man denjenigen oder dasjenige, von dem man alles Gute erwartet und bei dem man Schutz sucht in allen Notfällen. Einen Gott zu haben ist also nichts anderes, als ihm von Herzen zu vertrauen und zu glauben. Oft schon habe ich es gesagt: Allein das Vertrauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott. Sind Glaube und Vertrauen richtig, so ist auch dein Gott richtig, und umgekehrt: Wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der wahre Gott nicht. Denn die beiden gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässt dich darauf, das ist eigentlich dein Gott.

Darum ist nun der Sinn dieses Gebots, dass es wahren Glauben und wahre Zuversicht des Herzens verlangt, die auf den einzig wahren Gott gerichtet sind und sich an ihm allein festmachen. Es sagt so viel wie: »Hab Vertrauen und lass mich alleine dein Gott sein und suche niemals einen andern«; das heißt: Was dir an Gutem fehlt, das erwarte von mir und suche es bei mir, und wenn du Unglück und Not erleidest, dann suche bei mir Schutz und halte dich zu mir. ICH, ich will dir genug geben und dir aus aller Not helfen, hänge nur dein Herz an keinen andern.

Damit man es versteht und merkt, muss ich es deutlich hervorheben anhand von Gegenbeispielen aus dem Alltag:
Mancher meint, er habe Gott und alles zur Genüge, wenn er Geld und Besitz hat, verlässt sich darauf und brüstet sich damit so überheblich, dass er niemanden der Beachtung wert findet. Sieh, der hat auch einen Gott, der heißt Mammon [vgl. Mt 6,24], das ist Geld und Besitz, worauf er sich voll und ganz verlässt. Das ist der verbreitetste Abgott auf Erden. Wer Geld und Besitz hat, der weiß sich unangreifbar, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies. Wer hingegen keines hat, der zweifelt und verzagt, als wisse er von keinem Gott. Denn man wird wenige Leute finden, die guten Mutes sind und nicht trauern oder klagen, wenn sie den Mammon nicht haben. Das ist eine Eigenart der menschlichen Natur, die ihr anhaftet bis ins Grab.

Entsprechend verhält es sich mit dem, der darauf vertraut und pocht, dass er große Gelehrsamkeit, Klugheit, Macht, Einfluss, Beziehungen und öffentliches Ansehen habe; der hat auch einen Gott, aber auch nicht den wahren, einzig wirklichen Gott. Das erkennst du wieder daran, wie vermessen, überheblich und stolz man ist auf solche Güter und wie verzagt, wenn sie nicht vorhanden sind oder entzogen werden.

Darum sage ich noch einmal, dass die zutreffende Auslegung dieses Stückes sei, dass einen Gott haben heißt, etwas haben, worauf das Herz ganz und gar vertraut.

Bedenke ferner, was wir bisher angestellt und getan haben zur Zeit der Verblendung unter der Herrschaft des Papstes: Wenn jemandem ein Zahn wehtat, fastete er zu Ehren der Heiligen Apollonia; wer sich vor Feuersnot fürchtete, der machte den Heiligen Laurentius zum Nothelfer; wer sich vor der Pest fürchtete, tat ein Gelübde zugunsten des Heiligen Sebastian oder des Heiligen Rochus, und der Gräuel waren noch unzählige mehr. Da wählte ein jeder seinen persönlichen Schutzheiligen und betete ihn an und rief zu ihm, damit er ihm aus einer Notlage helfe.

Anmerkungen:
  • Der Heiligen Apollonia († um 248/249) wurden im Verlauf ihres Martyriums die Zähne ausgeschlagen, deshalb wandte man sich an sie um Hilfe gegen Zahnleiden.

  • Der Heilige Laurentius von Rom soll im Jahre 258 das Martyrium auf einem Bratrost erlitten haben; so wurde er zum Nothelfer gegen Feuersgefahr, aber auch gegen Wundbrand und dergleichen, außerdem zum Schutzheiligen zahlreicher feuergefährdeter Berufsgruppen.

  • Der Heilige Sebastian (Ende des 3. Jahrhunderts) wurde im Verlauf seines Martyriums von Pfeilen durchbohrt; zum Pestheiligen wurde er vermutlich aufgrund von Ps 91,5f.

  • Der Heilige Rochus († 1327) soll Pestkranke gepflegt und geheilt haben und auch selbst von der Pest genesen sein.

Hierher gehören auch diejenigen, die es gar zu grob treiben und mit dem Teufel einen Pakt schließen, dass er ihnen Geld genug gebe oder in Liebesdingen helfe, ihr Vieh bewahre, verlorenes Gut wiederbeschaffe etc., wie die Zauberer und Magier; denn diese alle setzen ihr Herz und Vertrauen anderswohin als auf den wahrhaftigen Gott, erwarten nichts Gutes von ihm, suchen es auch nicht bei ihm.

Also verstehst du nun leicht, was und wie viel dieses Gebot fordert, nämlich das ganze Herz des Menschen, alle seine Zuversicht auf Gott allein und niemand anderen zu setzen. Denn dass einen Gott zu haben nicht heißen kann, ihn mit Fingern zu ergreifen, in einen Beutel zu stecken oder in eine Truhe einzuschließen, das erkennst du wohl. Das bedeutet aber, ihn erfasst zu haben, wenn ihn das Herz ergreift und an ihm hängt. Mit dem Herzen an ihm zu hängen ist aber nichts anderes, als sich ganz und gar auf ihn zu verlassen.

Darum will er uns von allem anderen abwenden, das außerhalb von ihm liegt, und zu sich ziehen, weil er das einzig ewige Gut ist; er sagt gleichsam: »Was du zuvor bei den Heiligen gesucht oder worin du auf den Mammon oder anderes vertraut hast, das erwarte alles von mir, und halte mich für denjenigen, der dir helfen und dich mit allem Guten reichlich überschütten will.«

Siehe, da hast du nun, was die rechte Verehrung und der rechte Gottesdienst ist, der Gott gefällt, den er auch anordnet bei Strafe seines ewigen Zorns, nämlich dass das Herz keinen anderen Trost und keine andere Zuversicht kenne, als auf ihn zu vertrauen, sich auch nicht davon wegreißen lasse, sondern bereit sei, alles dafür aufzugeben, was auf Erden ist. Dagegen wirst du leicht erkennen, wie die Welt allenthalben falschen Gottesdienst und Abgötterei treibt. Denn es ist bislang kein Volk so verkommen gewesen, dass es nicht irgendeine Form von Gottesdienst aufgerichtet und gehalten hätte. Da hat jedermann das zum besonderen Gott erhoben, wovon er für sich Gutes, Hilfe und Trost erwartet hat. Zum Beispiel erhoben die Heiden, die ihre Zuversicht auf Macht und Herrschaft setzten, ihren Jupiter zum höchsten Gott, andere, die nach Reichtum, nach Glück oder nach Vergnügen und Wohlleben strebten, den Herkules, den Merkur, die Venus oder andere, die schwangeren Frauen die Diana oder die Lucina, und so fort; jeder machte sich den zum Gott, zu dem ihn sein Herz zog.

Anmerkungen:
  • Lucina ist ein Beiname der altrömischen Göttin Iuno in ihrer Eigenschaft als Geburtsgöttin.

Demnach heißt in der Tat, auch nach Auffassung aller Heiden, einen Gott zu haben: ihm zu vertrauen und an ihn zu glauben. Nur darin gehen sie fehl, dass ihr Vertrauen falsch und unrecht ist, denn es richtet sich nicht auf den einzig wahren Gott, neben dem es wahrhaftig keinen anderen Gott gibt, weder im Himmel noch auf Erden.

Darum machen die Heiden genau genommen ihre eigene, selbstgemachte Vorstellung und ihren Traum von Gott zum Abgott und verlassen sich auf ein bloßes Nichts.

So ist es um alle Abgötterei bestellt; denn sie besteht nicht bloß darin, dass man etwa ein Bild aufrichtet und es anbetet, sondern sie hat ihren Ort vor allem im Herzen, das anderswohin gafft, Hilfe und Trost sucht bei den Heiligen oder Teufeln und sich um Gott nicht schert, von ihm nicht einmal annimmt, dass er helfen wolle, auch nicht glaubt, dass von ihm kommt, was ihm Gutes widerfährt.

Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Form von falschem Gottesdienst, die höchste Abgötterei, die wir bislang getrieben haben und die noch in der Welt vorherrscht, auf der auch alle geistlichen Stände beruhen. Sie betrifft allein das Gewissen, das Hilfe, Trost und Seligkeit sucht in eigenen Leistungen. Es maßt sich an, Gott den Himmel abzuzwingen, und rechnet, wie viel es gestiftet, gefastet, Messe gehalten hat etc. Es verlässt sich auf die eigene Leistung und pocht darauf, als wolle es nichts von Gott geschenkt nehmen, sondern alles aus eigener Kraft erwerben oder auch noch für andere verdienen, gerade als müsste Gott uns zu Diensten sein und sei unser Schuldner, wir aber seine Vorgesetzten und Gläubiger. Was bedeutet das anderes, als aus Gott einen Götzen, ja eine bloße Vogelscheuche zu machen und sich selbst für Gott zu halten und zum Gott aufzuwerfen? Aber das ist ein wenig zu scharf, es ist zum Vortrag vor den jungen Schülern nicht geeignet.

Anmerkungen:
  • Originaltext: Apfelgott. Möglicherweise bezieht sich der Ausdruck auf die in römischen Obstgärten aufgestellten, mit leuchtend roter Mennige angestrichenen Statuen des Gottes Priapus.

Das sei aber den Unkundigen gesagt, damit sie den Sinn dieses Gebotes erfassen und sich gut einprägen: Man soll Gott allein vertrauen und lauter Gutes von ihm erwarten, denn er gibt uns Leib, Leben, Essen, Trinken, Lebensunterhalt, Gesundheit, Schutz, Frieden und alles, was wir in diesem Leben und für die Ewigkeit brauchen, außerdem bewahrt er uns vor Unglück, und wenn uns doch etwas widerfährt, rettet er uns und hilft uns heraus. Gott ist also (wie oft genug gesagt) der eine, von dem man alles Gute empfängt und der von allem Unglück befreit. Aus diesem Grunde, vermute ich, nennen wir Deutschen seit alters Gott auch mit ebendiesem Namen (passender und angemessener als jede andere Sprache), nach dem Wörtchen »gut«, weil Gott eine unerschöpfliche Quelle ist, die von lauter Güte überfließt und aus der alles fließt, was gut ist und gut heißt.

Anmerkungen:
  • Tatsächlich besteht wohl kein etymologischer Zusammenhang zwischen beiden Wörtern.

Auch wenn uns sonst viel Gutes von Menschen getan wird, so bedeutet es doch, alles von Gott zu empfangen, was man durch seinen Befehl und seine Anordnung empfängt. Denn unsere Eltern und alle, die uns etwas zu sagen haben, (ebenso wie wir alle im Hinblick auf unsere Mitmenschen) haben den Befehl, dass sie uns allerlei Gutes tun sollen. Wir empfangen das Gute also nicht von ihnen, sondern durch sie von Gott. Denn die Geschöpfe sind nur die Hände, Kanäle und Mittel, mit deren Hilfe Gott uns alles gibt. So gibt Gott der Mutter Brüste und Milch, um sie ihrem Kind zu reichen, er gibt Korn und allerlei Gewächse aus der Erde als Nahrungsmittel, die kein Geschöpf selbst herstellen kann.

Deshalb soll sich kein Mensch unterstehen, etwas zu nehmen oder zu geben, es sei denn von Gott befohlen, damit man es als seine Gabe erkenne und ihm dafür danke, wie dieses Gebot verlangt. Darum soll man auch solche Mittel, bei denen man durch andere Geschöpfe Gutes von Gott empfängt, nicht ausschlagen oder aus Vermessenheit andere Wege und Weisen suchen, dies Gute zu erlangen, als Gott befohlen hat. Denn das hieße nicht, das Gute dankbar von Gott zu empfangen, sondern es auf eigene Faust an sich bringen zu wollen.

Darauf achte nun jeder Mensch bei sich selbst, dass man dieses Gebot vor allen Dingen groß und hoch achte und nicht für einen Scherz ansehe. Befrage und erforsche dein Herz genau, so wirst du herausfinden, ob es allein an Gott hängt oder nicht. Hast du ein Herz, das lauter Gutes von ihm erwartet, insbesondere in Notlagen und Mangel, und das alles andere loslassen kann, was nicht Gott ist, dann hast du auch den einzigen wahren Gott. Wenn es hingegen von etwas anderem abhängig ist, von dem es mehr Gutes und Hilfe erwartet als von Gott, und läuft nicht zu ihm, sondern flieht vor Gott, wenn es in Not ist, dann hast du einen Abgott.

Damit man sieht, dass Gott die nicht in den Wind geschlagen haben, sondern sehr ernst genommen wissen will, hat er zu diesem Gebot zunächst einmal eine schreckliche Drohung, dann aber auch eine schöne, tröstliche Zusage gesetzt. Beides soll man auch gründlich behandeln und den Kindern und Jugendlichen eindringlich vortragen, damit sie es sich einprägen und behalten:

Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein starker Eiferer, der die Missetat der Eltern heimsucht an den Kindern bis in die dritte und vierte Generation, wenn sie mich hassen; aber ich übe Barmherzigkeit an vielen Tausenden, wenn sie mich liebhaben und meine Gebote halten.

Zwar beziehen sich diese Worte auf alle Gebote (wie wir später sehen werden), sie sind aber zu diesem Hauptgebot gesetzt, weil es darauf am meisten ankommt, dass ein Mensch ein richtiges Haupt hat; denn wo das Haupt in Ordnung ist, da ist auch das ganze Leben in Ordnung, und umgekehrt.

So lerne nun aus diesen Worten, wie zornig Gott ist über diejenigen, die sich auf irgendetwas anderes als ihn allein verlassen, und wiederum, wie gütig und gnädig er denen gegenüber ist, die ihm allein von ganzem Herzen vertrauen und an ihn glauben. Der Zorn hält an bis in die dritte und vierte Generation, die Wohltat und Güte dagegen erstreckt sich über viele Tausende, damit man nicht so gleichgültig dahinlebe, wie die ungehobelten Charaktere denken, als käme es nicht sonderlich darauf an. Er ist ein solcher Gott, der es nicht ungeahndet lässt, wenn man sich von ihm abwendet, und der nicht aufhört zu zürnen bis in die dritte und vierte Generation, so lange, bis sie vollständig ausgerottet werden. Darum will er gefürchtet und nicht verachtet sein.

Das hat er auch bewiesen in allen Geschichtsdarstellungen und historischen Erzählungen, wie sie uns die Schrift reichlich anzeigt und wie uns die tägliche Erfahrung noch immer eindrücklich lehren kann. Denn er hat alle Abgötterei von Anfang an konsequent ausgerottet und deshalb weder Heiden noch Juden verschont. So stürzt er auch heute noch allen falschen Gottesdienst, so dass schließlich alle, die darin verharren, untergehen müssen. Wenngleich man also heute anmaßende, reiche Säcke findet, die sich auf ihren Mammon etwas einbilden, ohne Rücksicht darauf, ob Gott zürnt oder lacht, weil sie meinen, auch seinem Zorn die Stirn bieten zu können, so werden sie mit dieser Haltung doch Schiffbruch erleiden, wie auch alle andern untergegangen sind, die sich noch für weit unangreifbarer und mächtiger gehalten haben.

Gerade wegen solch harter Köpfe, die sich, weil Gott sie eine Weile mit ihrem Treiben gewähren lässt, einbilden, er wisse gar nichts davon oder es liege ihm nichts daran, muss er so dreinschlagen und so hart strafen, bis hin zu ihren Enkeln, damit jeder darauf aufmerksam wird und erkennt, dass er es sehr ernst meint.

Denn diese meint er auch mit »denen, die mich hassen«, das heißt, die in ihrem Eigensinn und Hochmut verharren. Was man ihnen predigt oder sagt, wollen sie nicht hören. Hält man ihnen eine Strafpredigt, damit sie zu Selbsterkenntnis und Reue kommen, ehe es zu spät ist, dann regen sie sich auf, fühlen sich beleidigt und bekräftigen ihren verkehrten Standpunkt noch. So verdienen sie sich den Zorn redlich, wie sich auch an Bischöfen und Fürsten täglich zeigt.

So erschreckend diese Drohworte einerseits sind, so ist doch andererseits der Trost der Zusage noch stärker, dass Gott an denjenigen, die sich allein an ihn halten, seine Barmherzigkeit erweisen will, das heißt: ihnen und ihren Nachfahren Gutes tun über unzählige Generationen. Das sollte uns dazu bewegen, von Herzen auf Gott zu vertrauen mit aller Zuversicht, wenn wir alles Gute haben wollen für die Dauer unseres begrenzten Lebens auf dieser Erde und für das ewige Leben bei Gott, weil der hohe und erhabene Gott uns so entgegenkommt, so eindringlich um uns wirbt und so großzügige Zusagen ausspricht.

Darum sollte jeder Mensch sich diese Worte sehr ernsthaft zu Herzen nehmen und sie nicht etwa als bloßes Gerede leichthin abtun. Denn du hast davon entweder ewigen Segen, Glück und Seligkeit, oder ewigen Zorn, Unglück und Herzeleid. Was könntest du im Ernst über das hinaus haben wollen, was er dir so freundlich verspricht, nämlich dass er dir gehören will mit allem Guten, dich schützen und dir in allen Notlagen helfen will? Es scheitert aber daran, dass die Welt das alles nicht glaubt und nicht für Gottes Wort hält, weil sie sieht, dass diejenigen, die Gott und nicht dem Mammon vertrauen, Kummer und Not leiden und dass der Teufel gegen sie arbeitet und verhindert, dass sie zu Geld, Einfluss oder öffentlichem Ansehen kommen, ja kaum das Leben behalten. Diejenigen aber, die dem Mammon dienen, genießen Macht, Einfluss, Ansehen und Besitz und jegliche Annehmlichkeiten vor aller Augen. Deshalb muss man diese Worte auffassen als gerade gegen diesen trügerischen Anschein gerichtet und wissen, dass sie nicht lügen oder trügen, sondern schließlich in Erfüllung gehen müssen.

Denke du selbst zurück oder erkundige dich bei anderen und sage mir: Was haben diejenigen, die alle ihre Sorge und ihren Fleiß darauf verwendet haben, großen Besitz und Geld zusammenzuscharren, schließlich damit erreicht? Bei näherem Hinsehen wirst du feststellen, dass sie Mühe und Arbeit verloren haben oder dass sie zwar große Schätze zusammengebracht haben, die aber bald wieder zerstoben und auseinandergeweht sind, so dass sie selbst ihres Besitzes nie froh geworden sind und jedenfalls die dritte Erbengeneration davon nichts mehr gesehen hat. Genug Beispiele dafür wirst du in allen Geschichtsbüchern finden, auch von alten erfahrenen Leuten hören. Betrachte sie nur und achte darauf. Saul war ein großer König, von Gott erwählt und ein rechtschaffener Mann; aber als er sich an seine Macht gewöhnt hatte und seine Stellung für selbstverständlich ansah, als er sein Herz von Gott abwandte und sich ganz auf seine Krone und seine Macht verließ, musste er untergehen mit allem, was er hatte, so dass auch keines seiner Kinder übrig blieb.

Anmerkungen:
  • Saul und seine Söhne Jonatan, Abinadab und Malkischua kamen im Kampf gegen die Philister zu Tode (vgl. 1 Sam 31,2–6), Isch-Boschet/Eschbaal/Jischwi wurde ermordet (vgl. 2 Sam 4,7). Sauls Tochter Michal war mit David verheiratet, aber dieser zeugte keine Kinder mit ihr (vgl. 2 Sam 6,23). Über das weitere Schicksal von Sauls Tochter Merab (vgl. 1 Sam 18,19) verlautet nichts.

David hingegen war ein armer, verachteter Mann, verjagt und auf der Flucht, so dass er seines Lebens nirgends sicher war, und doch konnte Saul ihm nichts anhaben, und er wurde an seiner Stelle König [vgl. 1 Sam 16; 2 Sam 5]. Denn diese Zusagen mussten Bestand haben und in Erfüllung gehen, weil Gott weder lügen noch betrügen kann. Willst du aber betrogen werden, dann halte dich nur an den Teufel und die Welt mit ihrem oberflächlichen Glänzen, das eine Zeit lang blendet, aber schließlich doch verschwindet!

Darum lasst uns das erste Gebot gründlich lernen, damit wir erkennen, dass Gott weder Selbstüberschätzung noch abergläubisches Vertrauen auf irgendetwas anderes dulden will und dass er nicht mehr von uns verlangt, als dass wir von ihm alles Gute erwarten, so dass wir auf geraden Wegen durchs Leben gehen und alles, was Gott uns Gutes gibt, nicht in höherem Grad von uns Besitz ergreifen lassen als etwa ein Schuhmacher seine Nadel, seine Ahle oder seinen Schusterdraht, die er für seine Arbeit gebraucht und anschließend beiseitetegt, oder wie ein Gast die Unterkunft, Futter für sein Reittier und das Bett gebraucht, nämlich für den jeweiligen unmittelbaren Bedarf. So sollen wir es mit demjenigen halten, was Gott uns Gutes gibt, jeder an seinem Platz entsprechend der guten Ordnung Gottes, und nichts davon sollen wir zu unserem Herrn und Abgott werden lassen.

Anmerkungen:
  • Eine Schusterahle (auch »Ort« oder »Pfriem« genannt) ist ein starker, vorn meist gebogener, spitzer Metallstift mit (hölzernem) Griff, mit dessen Hilfe Löcher insbesondere in Leder gestochen oder vorhandene Löcher geweitet werden können; ein Öhr an der Spitze ermöglicht das Durchziehen des Schusterdrahtes (mit Pech getränkter, deshalb besonders haltbarer und reißfester starker Faden aus Hanf oder Flachs).

Das sei genug vom ersten Gebot, das wir haben besonders betonen müssen, weil es ganz besonders wichtig ist. Wenn nämlich (wie schon gesagt) das Herz im richtigen Verhältnis zu Gott steht und deshalb dieses Gebot eingehalten wird, dann ergibt sich die Erfüllung der übrigen Gebote von selbst.