Das zweite Gebot

Du sollst Gottes Namen nicht ohne guten Grund in den Mund nehmen.

Während das erste Gebot das Herz unterweist und den Glauben lehrt, führt uns dieses Gebot nach draußen und richtet den Mund und die Zunge auf Gott aus. Denn das Erste, was aus dem Herzen nach außen dringt und sich zeigt, sind die Worte. Was es heißt, einen Gott zu haben, habe ich oben gelehrt. Entsprechend musst du auch den Sinn dieses und aller weiteren Gebote möglichst deutlich auffassen und auf dich selbst beziehen. Wenn man nun fragt: »Wie verstehst du das zweite Gebot, oder was heißt Gottes Namen ohne guten Grund in den Mund nehmen oder missbrauchen?«, dann antworte kurz und bündig: »Das heißt Gottes Namen zu missbrauchen, wenn man Gott den Herrn im Zusammenhang mit irgendeiner lügnerischen, betrügerischen oder sonstigen unehrenhaften Absicht nennt.« Darum ist so häufig geboten, dass man sich auf Gottes Namen nicht fälschlich beziehen und ihn nicht in den Mund nehmen soll, wenn man sich bewusst ist oder bewusst sein müsste, dass es sich in Wahrheit anders verhält, als man öffentlich beteuert, wie es bei denen geschieht, die vor Gericht einen Meineid leisten. Denn Gottes Namen kann man nicht übler missbrauchen, als wenn man damit lügt und betrügt. Das ist die klarste und verständlichste Bedeutung dieses Gebotes.

Daraus kann jedermann selbst leicht entnehmen, wann und in wie vielfältiger Weise Gottes Name missbraucht wird, auch wenn es unmöglich ist, alle Formen des Missbrauchs darzulegen. Kurz gesagt, geschieht aller Missbrauch des göttlichen Namens einerseits in weltlichen Angelegenheiten, die Geld, Besitz, Ansehen betreffen, es sei öffentlich vor Gericht, auf dem Marktplatz oder anderwärts, wenn man schwört und Meineide leistet auf Gottes Namen oder eine Lüge »bei meiner Seele« bekräftigt. Insbesondere ist das gängige Praxis in Ehesachen, dass sich nämlich zwei Menschen erst heimlich miteinander verloben und später alles unter Eid ableugnen. Am schwersten wiegt allerdings der Missbrauch in geistlichen Belangen, die das Gewissen betreffen. Da stehen falsche Prediger auf und geben ihre Lügengespinste als Gottes Wort aus. Bei dem allen benutzt man Gottes Namen, um etwas Fragwürdiges oder Verwerfliches zu beschönigen oder mit dem Schein der Ehrbarkeit oder des Rechts zu verbrämen, es gehe nun um handfeste materielle Interessen oder um hochspezielle Fragen des Glaubens und der Lehre. Unter die Lügner gehören auch die Lästermäuler, und zwar nicht nur die sehr unverschämten, allgemein bekannten, die ohne Scheu Gottes Namen missbrauchen (die gehören nicht in unseren Unterricht, sondern in den des Henkers!), sondern auch diejenigen, die die Wahrheit und Gottes Wort öffentlich schmähen und sie dem Teufel zuschreiben. Doch davon genug für jetzt.

Anmerkungen:
  • Hier denkt Luther offenbar an altgläubige Gegner der evangelischen Lehre.

Hier lass uns nun lernen und zu Herzen nehmen, wie viel an diesem Gebot gelegen ist, damit wir uns mit allem Fleiß hüten und scheuen, den heiligen Namen zu missbrauchen, weil das die höchste Sünde ist, die äußerlich begangen werden kann. Denn lügen und betrügen ist an sich schon eine schwere Sünde, sie wird aber noch viel schwerer, wenn man zu ihrer Begründung und Absicherung Gottes Namen benutzt, um die Lüge zu bekräftigen und den Betrug zu bemänteln, so dass aus einer einfachen Lüge eine doppelte, ja vielfache Lüge wird.

Darum hat Gott diesem Gebot auch ein ernstes Drohwort angehängt, das lautet so: »denn der HERR wird den nicht für unschuldig halten, der seinen Namen ohne guten Grund gebraucht«, das bedeutet: Es soll keinem geschenkt werden oder ungestraft abgehen. Denn sowenig er es ungestraft lassen will, dass man das Herz von ihm abwende, so wenig will er es dulden, dass man seinen Namen benutzt, um Lügen zu beschönigen. Nun ist es leider eine verbreitete Plage in aller Welt, dass nur wenige Gottes Namen nicht zur Lüge und zu aller Bosheit missbrauchen, ebenso wenige, wie von Herzen auf Gott allein vertrauen.

Denn diese schöne Tugend haben wir von Natur alle an uns, dass, wer etwas Böses getan hat, gerne seine Schande verbergen und bemänteln möchte, damit niemand es sieht oder erfährt; und niemand ist so verkommen, dass er sich einer Übeltat vor allen Leuten rühmte; man will es lieber heimlich tun, damit es nicht bekannt wird. Greift man nun jemanden an, so muss Gott mit seinem Namen herhalten und das Verbrechen zu einer guten Tat und die Schande zu Ehrbarkeit machen. Das ist der gewöhnliche Lauf der Welt, der sich überall ausgebreitet hat wie eine Sintflut. Deshalb geschieht uns auch recht, was dabei herauskommt: Pest, Krieg, Geldentwertung, Brände, Überschwemmungen, Schwierigkeiten in der Ehe, bei der Erziehung der Kinder und im Umgang mit Untergebenen sowie sonstiger Schaden. Woher sonst käme so viel Jammer? Es ist noch eine große Gnade, dass uns die Erde überhaupt trägt und ernährt.

Darum sollte man vor allen Dingen die Kinder und Jugendlichen mit Ernst dazu anhalten und daran gewöhnen, dass sie dieses und andere Gebote deutlich vor Augen haben, und wenn sie sie übertreten, sofort mit der Rute hinter ihnen her sein und das Gebot vorhalten und immer einschärfen, damit sie nicht bloß mit Strafe, sondern zur Scheu und Ehrfurcht vor Gott erzogen würden.

So verstehst du nun, wie Gottes Name missbraucht wird, nämlich, kurz gesagt, entweder bloß zum Zweck der Lüge und um etwas Unheiliges als heilig auszugeben, oder um zu fluchen, zu beschwören, Zauberei zu treiben, und – alles in allem – Bosheiten zu verüben, wie man will.

Daneben musst du auch wissen, wie man den Namen angemessen gebraucht. Denn wenn Gott sagt: »Du sollst Gottes Namen nicht ohne guten Grund gebrauchen«, so gibt er damit zu verstehen, dass man den Namen an sich durchaus gebrauchen darf und soll. Denn er ist uns eben darum offenbart und gegeben worden, um gebraucht zu werden.

Weil hier verboten ist, den heiligen Namen zum Zweck der Lüge oder Untugend zu missbrauchen, ergibt sich im Umkehrschluss von selbst, dass geboten ist, ihn für die Wahrheit und alles Gute zu gebrauchen, zum Beispiel, wenn man wahrhaftig schwört, wo es nötig ist und gefordert wird, oder wenn man wahrhaftig lehrt, ebenso wenn man den Namen anruft in Notlagen, lobt und dankt im Guten etc. Das alles ist zusammengefasst und geboten in dem Spruch Psalm 50[,15]: »Rufe mich an zur Zeit der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.« Denn das alles meint, den Namen zur Wahrheit heranzuziehen und in Gottes Sinn zu gebrauchen, und so wird sein Name geheiligt, wie wir im Vaterunser beten.

Damit ist der Sinn des Gebotes insgesamt erfasst. Und von diesem Verständnis her ist die Frage leicht zu klären, mit der sich viele Kirchenlehrer herumgequält haben, warum es nämlich im Evangelium verboten ist zu schwören, obwohl Christus, der heilige Paulus und andere Heilige oft geschworen haben [vgl. 2 Kor 1,23; Gal 1,20]. Die Bedeutung ist, kurz gesagt: Schwören soll man nicht zum Bösen, das ist: um zu lügen, oder wo es weder notwendig noch nützlich ist; aber zum Guten und um einem Mitmenschen zu helfen, soll man schwören.

Denn es ist eine gute Tat, durch die Gott gepriesen wird, die Wahrheit und das Recht bestätigt, die Lüge bekämpft, die Leute zum Frieden gebracht, Gehorsam geleistet und Streitigkeiten geschlichtet werden; denn Gott greift da selbst ein und scheidet Recht und Unrecht, Böse und Gut voneinander. Leistet eine Seite einen Meineid, so haben sie ihr Urteil und werden der Strafe nicht entgehen, selbst wenn diese eine Weile auf sich warten lässt; so soll ihnen doch unterdessen nichts gelingen, so dass aller möglicher Gewinn aus dem Meineid ihnen unter den Händen zerrinnt und niemals fröhlich genossen wird. Das habe ich bei vielen beobachtet, die ihr heimliches Eheversprechen öffentlich unter Eid abgeleugnet haben, dass sie danach keine gute Stunde und keinen gesunden Tag gehabt haben und so an Leib und Seele und selbst am Vermögen jämmerlich zugrunde gegangen sind.

Deshalb sage und ermahne ich noch einmal, dass man die Kinder beizeiten daran gewöhne mit Warnen und Abschrecken, Verwehren und Strafen, dass sie sich scheuen vor Lügen, und insbesondere davor, Gottes Namen dafür zu missbrauchen. Denn wenn man das durchgehen lässt, wird nichts Gutes daraus, wie man jetzt deutlich sehen kann, dass die Welt böser ist als je zuvor: die gesellschaftliche Ordnung zerfällt, die Regeln für das Zusammenleben werden missachtet, es gibt weder Zuverlässigkeit noch Vertrauen mehr, sondern nur noch verkommene, zügellose Leute, bei denen weder Lehren noch Strafen hilft. Das alles ist ein Ausdruck des Zornes Gottes und eine Strafe wegen der mutwilligen Missachtung dieses Gebots.

Andererseits soll man die Kinder auch immer wieder dazu anhalten, Gottes Namen zu ehren und stetig im Mund zu führen bei allem, was ihnen widerfährt und zu Gesicht kommt; denn das ist die wahre Ehre des Namens, dass man alle Hilfe von ihm erwartet und deshalb zu ihm ruft, so dass zuerst das Herz durch den Glauben Gott die Ehre gibt, danach der Mund durch das Bekenntnis.

Das ist auch eine nützliche Gewohnheit im Einklang mit Gottes Willen und sehr kräftig gegen den Teufel, der ständig um uns herumschleicht und darauf lauert, wie er uns zu Sünde und Schande, Jammer und Not bringen könnte, der aber da sehr ungern zuhört und es nicht lange aushalten kann, wo man Gottes Namen von Herzen nennt und zu ihm ruft; und es würde uns wohl manches schreckliche und gräuliche Unglück widerfahren, wenn uns Gott nicht wegen des Anrufens seines Namens davor rettete. Ich habe es selbst versucht und die Erfahrung gemacht, dass oft plötzliches großes Unglück sogleich, wenn ich zu Gott um Hilfe rief, sich gewendet hat und vorübergegangen ist. Wir sollten den heiligen Namen ständig im Munde führen, um gewissermaßen dem Teufel wehezutun, damit er nicht schaden kann, wie er gerne will.

Diesen Zweck hat es auch, dass man es sich zur Gewohnheit werden lässt, mit Körper und Seele sich selbst, den Ehepartner, Kinder, Mitarbeiter und was wir haben, täglich Gottes Schutz und Fürsorge anzubefehlen für alle möglichen Notfälle. Daher kommen auch die Tischgebete »Benedicite« und »Gratias« und andere Segensworte für morgens und abends und sind in Gebrauch geblieben, ebenso der Brauch aus Kindertagen, wenn man etwas Ungeheueres und Schreckliches sieht oder hört, sich zu bekreuzigen und zu sagen »HERR Gott, behüte«, »Hilf, lieber Herr Christus« oder dergleichen. Entsprechend auch wenn jemandem unverhofft etwas Gutes widerfährt, es sei auch nur eine Kleinigkeit, dass man sagt: »Gott sei gelobt und gedankt«, »Das hat mir Gott beschert« etc. (So hat man früher die Kinder daran gewöhnt, für den Sankt Nikolaus und andere Heilige zu fasten und zu beten.) Wenn man das täte, wäre es Gott angenehm und wäre ihm lieber als jedes noch so strenge Klosterleben.

Anmerkungen:
  • Traditionelle Gebete vor und nach Tisch, vgl. oben S. 485f im Kleinen Katechismus.

So könnte man die Jugend in kindgemäßer, spielerischer Weise heranwachsen lassen in Ehrfurcht vor Gott, dass das erste und zweite Gebot in ständigem Gebrauch und steter Übung blieben. Da könnte etwas Gutes Wurzeln schlagen, aufgehen und Frucht tragen, so dass Leute heranwüchsen, von denen ein ganzes Land Nutzen und Freude haben könnte. Das wäre auch die angemessene Art, Kinder gut zu erziehen, solange man sie mit Güte und Vergnügen daran gewöhnen kann. Denn wenn man sie allein mit Ruten und Schlägen zwingen will, wird sich kein guter Charakter entwickeln, sondern wenn man viel erreicht, betragen sie sich doch nur einigermaßen rechtschaffen, solange die Rute auf dem Nacken liegt. Aber hier wurzelt es im Herzen, dass man sich mehr vor Gott als vor der Rute und dem Knüppel fürchtet. Das sage ich so schlicht für die Jugend, damit es doch einmal verstanden werde. Denn wenn wir Kindern predigen, müssen wir auch mit ihnen lallen.

Also haben wir vor dem Missbrauch des göttlichen Namens gewarnt und seinen rechten Gebrauch gelehrt, der nicht bloß in Worten, sondern auch im täglichen Leben verwirklicht werden soll, damit wir uns bewusst sind, dass dies Gott von Herzen gefällt und er es so reichlich belohnen will, wie er den Missbrauch zu strafen droht.