Das dritte Gebot
Du sollst den Feiertag heiligen.
Von »Feiertag« sprechen wir nach dem hebräischen Wort Sabbat, das eigentlich »feiern« bedeutet, das heißt: untätig sein, von der Arbeit ausruhen. Daher pflegen wir zu sagen »Feierabend machen« oder »heiligen Abend geben«. Nun hat Gott im Alten Testament den siebten Tag ausgesondert und zum Feiern eingesetzt und geboten, diesen Tag gegenüber den anderen Tagen besonders heilig zu halten [vgl. Gen 2,3; Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15]. Und im Hinblick auf diese äußerliche Ruhe ist dieses Gebot allein an die Juden gerichtet. Sie sollten keine anstrengenden Arbeiten ausführen und stattdessen ruhen, damit sich Menschen und Tiere wieder erholen könnten und nicht durch ununterbrochenes Arbeiten geschwächt würden. Allerdings haben sie das Gebot in der Folge allzu sehr auf die Spitze getrieben und grob missbraucht, so dass sie auch Christus wegen solcher Handlungen tadelten, die sie doch selbst auch am Feiertag getan hätten, wie man im Evangelium liest [vgl. Mt 12,1–14par]. Als sollte das Gebot dadurch erfüllt werden, dass man überhaupt keine körperlichen Tätigkeiten mehr ausführte, was doch nicht die Absicht war; vielmehr ging es eigentlich darum, den Feier- oder Ruhetag zu heiligen, wie wir hören werden.
am Vorabend eines Heiligenfestes die Arbeit beenden bzw. das Arbeiten einstellen.
Darum geht nun dieses Gebot uns Christen wörtlich genommen nichts an; denn es ist etwas ganz Äußerliches, wie andere Vorschriften des Alten Testaments, die an bestimmte Formen, Personen, Zeiten und Orte gebunden sind und die jetzt, da Christus uns befreit hat vom Gesetz, für uns nicht mehr verpflichtend sind [vgl. Kol 2,16f]. Aber um klarzumachen, was dieses Gebot für uns Christen bedeutet und was Gott darin von uns verlangt, so merke, dass wir Feiertage nicht wegen der verständigen und gelehrten Christen einhalten, denn diese haben sie nicht nötig, sondern wir halten sie erstens auch ein wegen körperlicher Ursachen und Bedürfnisse, die die Natur lehrt und verlangt im Hinblick auf die arbeitende Bevölkerung, Menschen, die die ganze Woche über berufstätig sind, damit sie auch einen Tag haben, an dem sie Muße finden zu Ruhe und Erholung. Zweitens halten wir sie vor allem, damit man an einem solchen Ruhetag (weil man sonst nicht dazu kommt) Gelegenheit und Zeit findet, am Gottesdienst teilzunehmen, dergestalt dass man zusammenkommt, um Gottes Wort zu hören und zu bedenken, danach Gott zu loben, zu singen und zu beten.
Das aber (sage ich) ist nicht in der Weise an eine bestimmte Zeit gebunden wie bei den Juden, dass es unbedingt dieser oder jener Tag sein müsste, denn an sich ist kein Tag besser als der andere, vielmehr sollte eigentlich täglich Gottesdienst gefeiert werden, aber weil dies die große Mehrheit der Menschen nicht verwirklichen kann, muss man doch wenigstens einen Tag in der Woche dafür vorsehen. Weil aber von alters her der Sonntag dafür vorgesehen ist, soll man es auch dabei bleiben lassen, damit es in einträchtiger Ordnung vonstattengehe und niemand durch unnötige Neuerungen Unordnung stifte. Demnach ist dies die schlichte Bedeutung dieses Gebots, dass man, weil man ohnehin Ruhetag hält, diese Ruhe nutze, um Gottes Wort zu lernen. Das eigentliche Amt dieses Tages ist das Predigtamt, um der Kinder und Jugendlichen und um der kleinen Leute willen, doch soll man das Ruhen nicht zu scharf auslegen, damit deshalb nicht unumgängliche Arbeiten zwangsweise liegenbleiben müssen.
Schon in der Urchristenheit war der Tag der Auferstehung des Herrn, der Sonntag, bevorzugter Gottesdiensttag, seit dem Jahr 321 wurde der Sonntag gesetzlicher Feiertag im Römischen Reich.
Deshalb antworte, wenn man fragt, was »Du sollst den Feiertag heiligen« eigentlich bedeuten soll: »Den Feiertag heiligen heißt so viel wie ihn heilig halten.« Was heißt aber heilig halten? Nichts anderes als heilige Worte reden, heilige Taten tun und ein heiliges Leben führen. Der Tag selbst braucht nämlich nicht geheiligt zu werden, denn er ist an sich schon heilig erschaffen. Gott will aber haben, dass der Tag dir heilig sei, also wird er in Bezug auf dich heilig oder unheilig, je nachdem, ob du heilige oder unheilige Dinge treibst an jenem Tage. Wie geschieht nun solches Heiligen? Nicht in der Weise, dass man es sich gemütlich macht, keine schwere Arbeit verrichtet oder Schmuck anlegt und seine besten Kleider anzieht, sondern, wie gesagt, indem man sich mit Gottes Wort beschäftigt und sich darin übt.
Wir Christen sollten eigentlich fortwährend solche Feiertage halten und ausschließlich heilige Dinge tun, das heißt, uns täglich mit Gottes Wort beschäftigen und es im Herzen und im Mund bei uns tragen. Aber weil wir, wie gesagt, nicht alle Zeit und Muße haben, müssen wir jede Woche ein paar Stunden für die Jugend oder wenigstens einen Tag für alle dazu verwenden, dass man sich ausschließlich damit beschäftige und eben die Zehn Gebote, den Glauben und das Vaterunser durchdenke und so unser gesamtes Leben von Grund auf nach Gottes Wort ausrichte. Wenn nun ein bestimmter Zeitraum dementsprechend gestaltet wird, dann wird ein wirklicher Feiertag gehalten, wenn nicht, kann man nicht von einem wirklich christlichen Feiertag sprechen. Denn sich ausruhen und nichts tun, das können auch die Nichtchristen, und auch der ganze Schwarm unserer Geistlichen, der täglich in der Kirche steht, singt und musiziert, heiligt dabei trotzdem keinen Feiertag, denn sie predigen kein Gotteswort und handeln nicht danach, sondern lehren und leben dagegen an.
Denn das Wort Gottes ist der allerkostbarste Kirchenschatz, ja der einzige, den wir Christen kennen und haben. Denn auch wenn wir die Knochen aller Heiligen oder alle heiligen und geweihten Gewänder auf einem Haufen hätten, so wäre uns doch damit nichts geholfen, denn es sind alles tote Dinge, die niemanden heiligen können. Aber Gottes Wort ist der Schatz, der alle Dinge heilig macht, wodurch auch sie selbst, die Heiligen allesamt, erst geheiligt worden sind. Wann immer man sich nun mit Gottes Wort beschäftigt, es predigt, hört, liest oder bedenkt, so wird dadurch die Person, der Tag und ihr Tun geheiligt, nicht wegen des äußerlichen Tuns, sondern wegen des Wortes, das uns alle zu Heiligen macht. Darum sage ich immer wieder, dass unser Leben und unser Handeln sich ganz und gar in dem Wort Gottes bewegen müssen, wenn sie gottgefällig oder heilig heißen sollen. Wo das geschieht, da erzielt dieses Gebot seine volle Wirkung und findet seine Erfüllung. Was hingegen außerhalb von Gottes Wort unternommen wird, das ist vor Gott unheilig, ganz gleich, wie es glitzern und glänzen mag, wenn man es mit lauter Stücken aus dem Reliquienschatz behängt; so verhält es sich mit den angeblichen geistlichen Ständen, deren Angehörige Gottes Wort nicht kennen und versuchen, sich durch eigene Frömmigkeitsleistungen die Heiligkeit zu verdienen.
Luther denkt hier vor allem an Mönche und Nonnen.
Darum präge dir ein, dass es bei diesem Gebot vordringlich nicht ums Feiern geht, sondern ums Heiligen, so dass diesem Tag eine besondere heilige Betätigung zugeordnet wird. Denn andere Arbeiten und Geschäfte heißen eigentlich nicht heilige Betätigungen, sofern nicht der Mensch, der sie ausübt, zuvor bereits heilig ist. Hier aber muss etwas geschehen, wodurch der Mensch selbst heilig wird. Und das geschieht, wie schon gesagt, durch Gottes Wort. Dazu sind Ort, Zeit, Personen und der gesamte äußerliche Gottesdienst bestimmt, damit davon auch öffentlich rege Gebrauch gemacht werden kann.
Weil es nun so sehr auf Gottes Wort ankommt, dass ohne es kein Feiertag geheiligt wird, sollen wir wissen, dass Gott dieses Gebot streng befolgt wissen will und diejenigen bestrafen wird, die sein Wort verachten und weder hören noch lernen wollen, besonders zu der Zeit, die dazu bestimmt ist. Darum verstoßen gegen dieses Gebot nicht nur diejenigen, die den Feiertag in grober Weise missbrauchen und entheiligen, wie es diejenigen tun, die es aus Gewinnsucht oder Leichtfertigkeit unterlassen, Gottes Wort zu hören, oder sich in Wirtshäusern herumtreiben, sinnlos betrunken wie die Säue, sondern es verstoßen auch diejenigen gegen dieses Gebot, die Gottes Wort anhören, als wäre es irgendein belangloser Zeitvertreib, und nur aus Gewohnheit zur Predigt und wieder hinaus gehen, und wenn das Jahr um ist, haben sie keinerlei Fortschritt im Verständnis des Wortes Gottes gemacht. Denn bisher hat man gemeint, man feiere angemessen, wenn man am Sonntag eine Messe oder den vorgeschriebenen Evangelienabschnitt hätte verlesen hören, aber nach Gottes Wort hat niemand gefragt, es hat ja auch niemand gelehrt. Jetzt, da wir Gottes Wort haben, stellen wir gleichwohl den Missbrauch nicht ab, sondern lassen uns zwar predigen und ermahnen, hören aber ohne Ernst und Sorgfalt. Darum wisse, dass es nicht allein aufs Hören ankommt, sondern auch aufs Lernen und Behalten, und bedenke, dass dies weder dir überlassen ist noch überhaupt wenig daran liegt, sondern dass es ein Gebot Gottes ist, vor dem du wirst verantworten müssen, wie du sein Wort gehört, gelernt und geehrt hast.
Lateinisch, so dass Gemeindeglieder ohne entsprechende Vorbildung den Text nicht verstehen konnten.
Entsprechend sind auch jene eingebildeten Geister zu tadeln, die des Hörens überdrüssig sind, sobald sie nur eine oder zwei Predigten gehört haben, weil sie meinen, sie könnten es nun selbst recht gut und bräuchten keinen Lehrer mehr. Denn das ist genau die Sünde, die man bisher unter die Todsünden gezählt hat und die »Akidia« heißt, das bedeutet Trägheit oder Überdruss, eine feindselige, schädliche Plage, mit der der Teufel viele Herzen verzaubert und betrügt, um uns zu überrumpeln und uns das Wort Gottes wieder heimlich zu entziehen.
Die mittelalterliche Schultheologie unterschied sieben Todsünden: Hochmut (superbia), Habgier (avaritia), Zügellosigkeit (luxuria), Hass (invidia), Völlerei (gula), Zorn (ira), Trägheit/Launenhaftigkeit/Überdruss in religiösen Dingen (acedia).
Denn das lass dir gesagt sein: Auch wenn du es aufs beste könntest und alle Dinge meisterlich beherrschtest, so bewegst du dich doch täglich im Bereich der Herrschaft des Teufels, der weder Tag noch Nacht aufhört, dich heimlich zu verfolgen, um in deinem Herzen Unglauben und böse Gedanken gegen die vorgenannten und alle übrigen Gebote zu wecken. Darum musst du fortwährend Gottes Wort im Herzen, im Mund und vor den Ohren haben. Wenn aber das Herz untätig ist und das Wort nicht erklingt, dann bricht der Teufel ein und hat den Schaden getan, ehe man es merkt. Hingegen hat das Wort die Kraft, wo man es mit Ernst betrachtet, hört und auslegt, dass es niemals ohne Frucht bleibt, sondern immer wieder neue Einsicht, Aufmerksamkeit und Anteilnahme weckt und das Herz und die Gedanken reinigt. Denn es sind nicht faule oder tote, sondern wirksame, lebendige Worte. Und wenn uns auch sonst kein möglicher Nutzen und keine Not dazu veranlasste, so sollte doch der Umstand jedermann dazu bewegen, dass dadurch der Teufel aufgescheucht und verjagt wird, außerdem wird dieses Gebot erfüllt, was Gott besser gefällt als alle oberflächlich glitzernden Heucheltaten.