Der zweite Teil: Vom Glauben

Bisher haben wir das erste Stück der christlichen Lehre gehört und darin alles gesehen, was Gott von uns getan und unterlassen haben will. Darauf folgt nun angemessener Weise das Glaubensbekenntnis, das uns alles vorlegt, was wir von Gott erwarten und empfangen müssen, und das uns, kurz gesagt, ihn ganz und gar zu erkennen lehrt. Dadurch sollen wir befähigt werden, den Zehn Geboten gemäß zu handeln. Denn diese haben (wie oben gesagt) einen so hohen Anspruch, dass kein Mensch von sich aus in der Lage ist, sie wirklich zu befolgen. Darum ist es ebenso nötig, auch dieses Stück zu lernen, damit man erfährt, wie das zu erreichen, woher und wodurch diese Kraft zu nehmen ist. Denn wenn wir aus eigenen Kräften die Zehn Gebote so einhalten könnten, wie sie eingehalten werden sollen, bräuchten wir nichts weiter, weder das Glaubensbekenntnis noch das Vaterunser. Aber ehe man diesen Nutzen und die Notwendigkeit des Glaubensbekenntnisses verdeutlicht, genügt es zunächst für die ganz Unkundigen, dass sie das Glaubensbekenntnis an sich begreifen und verstehen lernen.

Anmerkungen:
  • Der Legende nach soll jeder Apostel einen Teilsatz beigetragen haben. Vgl. Anm. 16.

Anfangs hat man das Glaubensbekenntnis bisher in zwölf Abschnitte eingeteilt, obwohl sich, wenn man alle Gegenstände, die in der Schrift stehen und zum Glauben gehören, einzeln in den Blick nehmen wollte, sehr viel mehr Artikel ergäben, wenn man auch nicht alle mit so wenigen Worten deutlich ausdrücken könnte. Aber damit man es möglichst leicht und einfach erfassen kann, wie es den Kindern beizubringen ist, wollen wir das gesamte Glaubensbekenntnis in drei Hauptabschnitte einteilen, entsprechend den drei Personen der Gottheit, auf die alles, was wir glauben, ausgerichtet ist. Der erste Abschnitt von Gott dem Vater behandelt dementsprechend die Schöpfung, der zweite von dem Sohn die Erlösung, der dritte vom Heiligen Geist die Heiligung. So könnte man den Glauben aufs Allerkürzeste in diese wenigen Worte fassen: »Ich glaube an Gott den Vater, der mich geschaffen hat; ich glaube an Gott den Sohn, der mich erlöst hat; ich glaube an den Heiligen Geist, der mich heilig macht.« Ein einziger Gott und ein einziger Glaube, aber drei Personen, darum auch drei Artikel oder Bekenntnisse. So wollen wir nun kurz den Wortlaut vornehmen.

Anmerkungen:
  • Luther nimmt hier altkirchliche Bemühungen um angemessene Aussagen über das Wesen des dreieinigen Gottes auf. Als »Personen« werden dabei die sich voneinander unterscheidenden Seinsweisen des einen Gottes bezeichnet. In sich selbst ist Gott liebende Gemeinschaft, und in der Person Jesu Christi ist Gott offen für die Gemeinschaft mit den Menschen. In ihm hat sich der Schöpfer des Himmels und der Erde in einzigartiger, unüberbietbar authentischer Weise offenbart, und er vermittelt uns diese Offenbarung durch seinen Heiligen Geist. Vgl. 2 Kor 4,6.

Der erste Artikel: Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.

Damit ist aufs Allerkürzeste zusammengefasst und ausgedrückt, was Gottes des Vaters Wesen, Wille, Tun und Wirken ist. Denn weil die Zehn Gebote eingeschärft haben, man solle nicht mehr als einen einzigen Gott haben, könnte man jetzt fragen: »Was ist denn Gott für ein Mann, was tut er, wie kann man ihn rühmen oder abmalen und beschreiben, damit man ihn erkennt?« Das lehren nun dieser und die folgenden Artikel. Dementsprechend ist das Glaubensbekenntnis nichts anderes als eine Antwort und ein Bekenntnis der Christen im Hinblick auf das erste Gebot. Wenn man also ein Kind fragte: »Liebes, was hast du für einen Gott, was weißt du von ihm?«, dann sollte es antworten können: »Das ist mein Gott, zum Ersten der Vater, der Himmel und Erde geschaffen hat. Außer diesem Einzigen halte ich nichts für Gott, denn es gibt sonst keinen, der Himmel und Erde erschaffen könnte.« Für die Gelehrten aber und diejenigen, die etwas bewandert sind, kann man die drei Artikel allesamt ausführlich behandeln und in so viele Abschnitte unterteilen, wie es Worte sind. Aber jetzt für die jungen Schüler soll es reichen, das Nötigste aufzuzeigen, nämlich, wie gesagt, dass dieser Artikel die Schöpfung betrifft; man halte deshalb inne bei dem Ausdruck »Schöpfer Himmels und der Erde«. Was heißt das nun oder was meinst du mit dem Satz: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer etc.«? Antwort: Das meine und glaube ich, dass ich Gottes Geschöpf bin, das heißt, dass er mir gegeben hat und fortwährend erhält Körper, Seele und Leben, die kleinen und großen Körperteile, alle Sinne, Vernunft und Verstand und so weiter, Essen und Trinken, Kleidung, Lebensunterhalt, Frau und Kind, Bedienstete, Haus und Hof etc., überdies lässt er alles Geschaffene zum Nutzen und Bedarf des Lebens beitragen, Sonne, Mond und Sterne am Himmel, Tag und Nacht, Luft, Feuer, Wasser, die Erde und was sie trägt und hervorbringen kann, Vögel, Fische, Landtiere, Getreide und allerlei Gewächs und was es sonst noch an materiellen und vergänglichen Gütern gibt, gute Gesellschaftsordnung, Friede, Sicherheit. Demnach soll man aus diesem Artikel lernen, dass niemand das Leben oder alles, was eben aufgezählt wurde und noch aufgezählt werden könnte, aus sich selbst hat oder aufrechterhalten kann, wie klein und unscheinbar es auch sein mag. Denn das alles ist inbegriffen in dem Wort »Schöpfer«.

Darüber hinaus bekennen wir auch, dass Gott der Vater uns nicht nur all das, was wir haben und vor Augen sehen, gegeben hat, sondern uns auch täglich vor allem Übel und Unglück behütet und beschützt und allerlei Gefahren und Unfälle abwendet, und das alles aus lauter Liebe und Güte, ohne dass wir es verdient hätten, wie ein freundlicher Vater, der für uns sorgt, damit uns kein Leid widerfahren soll. Dies näher auszuführen ist Sache der beiden anderen Abschnitte dieses Artikels, wo es heißt »den Vater, den Allmächtigen«.

Daraus ergibt sich von selbst folgender Schluss: Weil uns dies alles, was wir besitzen, und das, was im Himmel und auf der Erde ist, täglich von Gott gegeben, erhalten und bewahrt wird, so sind wir freilich verpflichtet, ihn darum andauernd zu lieben, zu loben und ihm zu danken, kurz: ihm ganz und gar damit zu dienen, wie er durch die Zehn Gebote fordert und befohlen hat. Hier könnte man viel sagen, wenn man es deutlich herausstellen wollte, wie wenige diesen Artikel wirklich glauben. Denn wir gehen alle oberflächlich darüber hinweg, hören und sagen es, erkennen und bedenken aber nicht, was die Worte uns wirklich sagen. Denn wenn wir es von Herzen glaubten, handelten wir auch dementsprechend und gingen nicht so stolz umher, prahlten und brüsteten uns nicht, als hätten wir das Leben, Reichtum, Macht, Ehre etc. von uns selbst, so dass man uns fürchten und uns dienen müsste. So macht es die unselige, verkehrte Welt, die in ihrer Verblendung ersoffen ist und alle Güter und Gaben Gottes ausschließlich zum eigenen Ruhm, zur Habgier, zur Lust und zum Vergnügen missbraucht und Gott nicht einmal ansieht, um ihm zu danken oder ihn als Herrn und Schöpfer anzuerkennen. Darum müsste uns dieser Artikel alle demütigen und erschrecken, wenn wir es denn glaubten. Denn wir sündigen täglich mit Augen, Ohren, Körper und Seele, Geld und Besitz und allem, was wir haben. Insbesondere tun dies diejenigen, die obendrein gegen Gottes Wort kämpfen. Die Christen haben immerhin den Vorteil, dass sie ihre Verpflichtung anerkennen, ihm dafür zu dienen und gehorsam zu sein.

Deshalb sollen wir diesen Artikel täglich einüben und uns einprägen. Und bei allem, was uns vor die Augen kommt und was uns an Gutem widerfährt, oder wenn wir aus einer Notlage oder Gefahr entkommen, sollen wir uns daran erinnern, dass Gott es ist, der uns dies alles gibt und für uns tut, damit wir daran sein väterliches Herz und seine überschwängliche Liebe zu uns spüren und erkennen. Davon würde unser Herz warm werden und dazu bewegt, dankbar zu sein und all diese Güter zu Gottes Ehre und Lob zu gebrauchen.

Damit haben wir die Bedeutung dieses Artikels aufs Kürzeste zusammengefasst, soweit zunächst für die Unkundigen erforderlich ist, zu lernen, was wir von Gott haben und empfangen und wozu wir darum verpflichtet sind. Das ist eine große, wichtige Erkenntnis, aber auch ein noch viel größerer Schatz. Denn da erkennen wir, wie sich der Vater uns gegeben hat mitsamt allen Geschöpfen und uns aufs Allerreichlichste in diesem Leben versorgt, abgesehen davon, dass er uns zudem auch mit unaussprechlichen ewigen Gütern durch seinen Sohn und seinen Heiligen Geist überschüttet, wie wir hören werden.

Der zweite Artikel: Und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unsern HERRN, der empfangen ist vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren zum Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von wo er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.

Hier lernen wir die zweite Person der Gottheit kennen, damit wir erkennen, was wir über die vorgenannten vergänglichen Güter hinaus von Gott haben, nämlich wie er sich ganz und gar verausgabt hat und nichts behalten, das er uns nicht gegeben hätte. Dieser Artikel ist nun sehr inhaltsreich und umfassend, aber um ihn auch kurz und kindgemäß zu behandeln, wollen wir uns ein Wort vornehmen und darin alles zusammenfassen, nämlich (wie gesagt) dass man daraus lerne, wie wir erlöst worden sind; unseren Ausführungen sollen die Worte zugrunde liegen: »an Jesus Christus, unseren HERRN«.

Wenn man nun fragt: »Was glaubst du gemäß dem zweiten Artikel von Jesus Christus?«, so antworte aufs Kürzeste: »Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gottessohn, mein Herr geworden ist.« Was bedeutet nun aber »ein Herr werden«? Es bedeutet, dass er mich erlöst hat von Sünde, vom Teufel, vom Tode und allem Unglück. Denn zuvor habe ich keinen Herrn oder König gehabt, sondern bin unter der Macht des Teufels gefangen, zum Tode verdammt, in Sünde und Verblendung verstrickt gewesen.

Denn nachdem wir erschaffen waren und allerlei Gutes von Gott, dem Vater, empfangen hatten, kam der Teufel und brachte uns in Ungehorsam, Sünde, Tod und alles Unglück, so dass wir in Gottes Zorn und Ungnade gerieten, zu ewiger Verdammnis verurteilt, wie wir es verdient hatten. Es gab weder Rat noch Hilfe oder Trost, bis dass sich dieser einzige und ewige Gottessohn unseres Jammers und Elendes aus grundloser Güte erbarmte und vom Himmel kam, um uns zu helfen. Demnach sind nun jene Tyrannen und Gefängnisaufseher alle vertrieben, und an ihre Stelle ist Jesus Christus getreten, der Herr des Lebens, der Gerechtigkeit, alles Guten und des Einklangs mit Gott, und er hat uns arme, verlorene Menschen aus dem Rachen der Hölle gerissen, uns gewonnen, frei gemacht und zurückgebracht in das Wohlwollen und die Gnade des Vaters, und er hat uns als sein Eigentum unter seinen Schirm und Schutz genommen, um uns zu regieren durch seine Gerechtigkeit, Weisheit, Macht, Leben und Seligkeit.

Das sei nun die Zusammenfassung dieses Artikels, dass das Wörtchen »HERR« schlicht »Erlöser« bedeutet, das heißt den, der uns vom Teufel zu Gott, vom Tod zum Leben, von Sünde zur Gerechtigkeit gebracht hat und uns dauerhaft dabei erhält. Die Stücke aber, die nacheinander in diesem Artikel aufgezählt werden, tun nichts anderes, als diese Erlösung weiter auszulegen und auszudrücken, wie und wodurch sie geschehen ist; das ist, was es ihn gekostet und was er daran gewendet und darum gewagt hat, um uns zu gewinnen und zu seiner Herrschaft zu bringen, nämlich dass er Mensch geworden ist, von dem Heiligen Geist und der Jungfrau ohne alle Sünde empfangen und geboren, damit er die Sünde besiegte, dass er außerdem gelitten hat, gestorben ist und begraben worden, um für mich einzustehen und zu bezahlen, was ich verschuldet habe, und zwar nicht mit Silber oder Gold, sondern mit seinem eigenen, teuren Blut. Und dies alles darum, um mein HERR zu werden. Denn nichts davon hat er für sich getan oder tun müssen. Danach ist er wieder auferstanden, hat den Tod verschlungen und gefressen [vgl. Jes 25,8] und ist schließlich in den Himmel aufgefahren und hat die Herrschaft übernommen zur Rechten des Vaters, so dass ihm der Teufel und alle Mächte untertan sein und zu Füßen liegen müssen, bis er uns schließlich am Jüngsten Tage vollends von der bösen Welt, Teufel, Tod, Sünde etc. trennen und befreien wird. Aber diese einzelnen Stücke alle im Besonderen durchzunehmen ist nicht Sache des Kindergottesdienstes, sondern des Gemeindegottesdienstes im Jahreslauf, insbesondere zu den Zeiten im Kirchenjahr, die dafür vorgesehen sind, jeden Artikel ausführlich zu behandeln: von der Geburt (Weihnachten), Leiden (Passionszeit), Auferstehen (Ostern), Himmelfahrt Christi etc. Überdies beruht das ganze Evangelium, das wir predigen, darauf, dass man diesen Artikel richtig begreift als denjenigen, daran all unser Heil und unsere Seligkeit liegt und der so inhaltsreich und umfassend ist, dass wir immer genug daran zu lernen haben.

Der dritte Artikel: Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Amen.

Diesen Artikel kann ich nicht treffender überschreiben als, wie gesagt, »von der Heiligung«, um dadurch den Heiligen Geist in seinem Wirksamsein zum Ausdruck zu bringen und vor Augen zu stellen, was er tut, nämlich dass er heilig macht. Darum müssen wir uns in der Auslegung auf das Wort »Heiliger Geist« stützen, weil es so kurz gefasst ist, dass man kein anderes haben kann. Denn es werden sonst mancherlei Geister in der Schrift erwähnt, wie Menschengeist [vgl. 1 Kor 2,11], himmlische Geister [vgl. 1 Kön 22,19.21] und böser Geist [vgl. 1 Sam 16,14.23; Apg 19,12.15]. Aber Gottes Geist heißt allein ein Heiliger Geist, das ist, der uns geheiligt hat und weiterhin heiligt. Denn wie der Vater »Schöpfer«, der Sohn »Erlöser« heißt, so soll auch der Heilige Geist gemäß dem, was er bewirkt, »Heiliger« oder »Heiligmacher« heißen. Wie geschieht aber dieses Heiligen? Antwort: Wie der Sohn die Herrschaft, durch die er uns gewinnt, antritt durch seine Geburt, sein Sterben und seine Auferstehung etc., so bewirkt der Heilige Geist die Heiligung durch die darauf folgenden Stücke, d. h. durch die Gemeinde der Heiligen oder die christliche Kirche, die Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben, das bedeutet, dass er uns vor allem in seine heilige Gemeinde führt und in den Schoß der Kirche legt, durch die er predigt und uns zu Christus bringt.

Anmerkungen:
  • Vgl. Anm. 72.

Denn weder du noch ich könnten jemals etwas von Christus wissen noch an ihn glauben und ihn zum Herrn bekommen, wenn es uns nicht durch die Predigt des Evangeliums vom Heiligen Geist vermittelt und ans Herz gelegt würde. Die Tat ist geschehen und getan; denn Christus hat uns den Schatz erworben und gewonnen durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen etc. Aber wenn die Tat verborgen bliebe, so dass niemand davon erführe, so wäre es umsonst geschehen und verloren. Damit nun dieser Schatz nicht vergraben bleibt, sondern angelegt und genutzt wird, [vgl. Mt 25,14–30] hat Gott das Wort ausgehen und verkünden lassen, worin er den Heiligen Geist gibt, der uns diesen Schatz nahebringt und zueignet. Darum ist das Heiligen nichts anderes, als zu dem HERRN Christus zu bringen, um dieses Gut entgegenzunehmen, zu dem wir aus eigener Kraft nicht kommen könnten.

So lerne nun, diesen Artikel aufs Deutlichste zu verstehen, damit du, wenn man fragt: »Was meinst du mit den Worten: ›Ich glaube an den Heiligen Geist‹?«, antworten kannst: »Ich glaube, dass mich der Heilige Geist heilig macht, wie es seinem Namen entspricht.« Womit tut er das aber, oder was ist seine Weise und sein Mittel dazu? Antwort: »durch die christliche Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben.« Denn erstens hat er eine besondere Gemeinschaft in der Welt, die die Mutter ist, die einen jeglichen Christen zeugt und austrägt durch das Wort Gottes, das der Heilige Geist offenbart und in Gebrauch hält, und er erleuchtet die Herzen und feuert sie an, dass sie es begreifen, aufnehmen, daran hängen und dabei bleiben.

Denn wenn er es nicht predigen lässt und im Herzen erweckt, damit man es begreift, ist es verloren, wie es unter dem Papsttum geschehen ist, wo man das Glaubensbekenntnis ganz vernachlässigt hat und niemand Christus als seinen Herrn angesehen hat oder den Heiligen Geist als den, der heilig macht. Das heißt, niemand hat geglaubt, dass Christus insofern unser Herr ist, als er uns ohne unser Zutun und Verdienst diesen Schatz gewonnen hat, uns dem Vater angenehm zu machen. Woran hat es denn gefehlt? Der Heilige Geist war nicht da, um es zu offenbaren und predigen zu lassen, sondern Menschen und der böse Geist waren da, die uns gelehrt haben, wir könnten durch eigene Leistung zum Einklang mit Gott kommen und sein Wohlwollen erlangen. Darum ist es auch keine christliche Kirche. Denn wo man nicht von Christus predigt, da ist kein Heiliger Geist, der die christliche Kirche macht, beruft und zusammenbringt, außerhalb deren niemand zum Herrn Christus kommen kann. Das sei genug vom Hauptinhalt dieses Artikels. Weil aber die Stücke, die darin aufgezählt werden, für die Unkundigen nicht so sehr klar sind, wollen wir sie auch kurz durchgehen.

Die heilige christliche Kirche nennt der Glaube »Communio sanctorum«, »Gemeinschaft der Heiligen«. Denn beides soll dasselbe bedeuten, aber vorzeiten ist das eine Stück nicht dabei gewesen, es ist auch übel und unverständlich verdeutscht: »eine Gemeinschaft der Heiligen«. Wenn man es deutlich wiedergeben sollte, müsste man es auf deutsche Art ganz anders ausdrücken. Denn das Wort »Ecclesia« heißt eigentlich auf Deutsch »Versammlung«. Wir sind aber an das Wort »Kirche« gewöhnt, worunter die Unkundigen nicht eine versammelte Menschenmenge, sondern ein geweihtes Haus oder Gebäude verstehen, obwohl das Haus eigentlich nur darum »Kirche« heißen sollte, weil die Menschenmenge darin zusammenkommt. Denn wir, die zusammenkommen, machen und nehmen uns einen besonderen Raum und geben dem Haus nach der Menschenmenge den Namen. Also heißt das Wort »Kirche« eigentlich nicht anderes als »allgemeine Versammlung« und ist der Herkunft nach nicht deutsch, sondern griechisch (wie auch das Wort »Ecclesia«). Denn sie nennen es in ihrer Sprache »Kyria«, wie man es lateinisch »Curia« nennt. Darum sollte es in echtem Deutsch und in unserer Muttersprache »christliche Gemeinde oder Versammlung« heißen, oder am allerdeutlichsten »heilige Christenheit«.

Anmerkungen:
  • Der Abschnitt »sanctorum communio« ist tatsächlich eine Ergänzung. Zu Luthers Zeit bezeichnete das Wort »Gemeinschaft« keine durch ein gemeinsames Interesse oder Ähnliches verbundene Gruppe von Menschen, sondern lediglich etwas wie »Gemeinsamkeit«, deshalb bemängelt er die Verwendung des Wortes an dieser Stelle. Der Ausdruck »Communio sanctorum« kann verstanden werden als »Gemeinde aus (den) heiligen Menschen (bzw. den Gläubigen aller Zeiten und Weltgegenden, einschließlich der Engel)«. So deutet Luther den Ausdruck. Möglich ist aber auch eine andere Deutung: »Teilhabe an (den) heiligen Dingen«, nämlich an den Sakramenten.

  • Kirche kommt wahrscheinlich vom griech. κυριακός, kyriakós = »zum Herrn gehörig«; κυρία, kyría = regelmäßige Volksversammlung; curia = Versammlung der führenden Familien in Rom, dann auch Tagungsgebäude.

Entsprechend sollte auch das Wort »Communio«, das daran angehängt ist, nicht mit »Gemeinschaft« übersetzt werden, sondern mit »Gemein(d)e«. Und es handelt sich dabei lediglich um eine Glosse oder Auslegung, mit der jemand hat andeuten wollen, was die christliche Kirche genannt werde.
Daraus haben die Unseren, die weder Lateinisch noch Deutsch verstanden, »Gemeinschaft der Heiligen« gemacht, was im Deutschen ungebräuchlich und unverständlich ist. Der angemessene deutsche Ausdruck wäre »Gemeinde der Heiligen«, das ist eine Gemeinde, die aus lauter Heiligen besteht, oder noch deutlicher »eine heilige Gemeinde«. Das sage ich, damit man die Worte versteht, weil die Redeweise so zur Gewohnheit geworden ist, dass man sie schwerlich wieder ausmerzen könnte, und es gilt gleich als Ketzerei, wenn man nur ein Wort daran ändert.

Das ist aber die Bedeutung und der Hauptinhalt dieses Zusatzes: Ich glaube, dass es ein heiliges Häuflein gibt und eine Gemeinde auf Erden aus lauter Heiligen unter einem Haupt, Christus, durch den Heiligen Geist zusammen berufen, in einem Glauben, Sinn und Verstand, mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe, ohne Gruppenbildungen und Spaltungen. Dazu gehöre auch ich als Teil und Mitglied, teilhaftig und Miteigentümer aller ihrer Güter, durch den Heiligen Geist dahin gebracht und dadurch in die Gemeinschaft eingegliedert, dass ich Gottes Wort gehört habe und noch höre. Das ist der Anfang, um hineinzukommen. Denn vorher, ehe wir dazu gekommen sind, sind wir ganz und gar des Teufels gewesen, wir wussten nämlich von Gott und von Christus nichts. So bleibt der Heilige Geist bei der heiligen Gemeinde oder Christenheit bis zum Jüngsten Tag, durch sie holt er uns zu sich, und er gebraucht sie dazu, das Wort laut werden zu lassen und zu verbreiten, durch das er die Heiligung bewirkt und mehrt, damit die Gemeinde täglich wächst und stark wird im Glauben und seinen Früchten, die er schafft.

Ferner glauben wir, dass wir in der Christenheit Vergebung der Sünde haben; das geschieht durch die heiligen Sakramente und die Absolution, außerdem durch allerlei Trostsprüche des gesamten Evangeliums. Darum gehört hierher, was von den Sakramenten zu predigen ist, und insgesamt das ganze Evangelium und alle Ämter der Christenheit. Es ist auch nötig, dass dies ununterbrochen andauert. Denn wiewohl Gottes Gnade durch Christus erworben ist und die Heiligkeit gemacht ist durch den Heiligen Geist durch Gottes Wort in der Vereinigung der christlichen Kirche, so sind wir doch im Hinblick auf unser noch andauerndes Leben in der Welt niemals ohne Sünde. Darum ist alles in der Christenheit darauf hingeordnet, dass man da täglich lauter Vergebung der Sünde durch Wort und Zeichen hole, um unser Gewissen zu trösten und aufzurichten, solange wir hier leben. Also bewirkt der Heilige Geist, dass uns die Sünde, obwohl sie uns noch anhaftet, doch nicht schaden kann, solange wir in der Christenheit sind, wo lauter Vergebung der Sünde ist, und zwar sowohl insofern, als uns Gott vergibt, wie auch insofern, als wir einander vergeben, einander tragen und einander aufhelfen. Außerhalb der Christenheit aber, wo das Evangelium nicht verkündigt wird, ist auch keine Vergebung, wie auch keine Heiligkeit da sein kann. Darum haben sich alle selbst ausgeschlossen und abgesondert, die nicht durch das Evangelium und die Sündenvergebung, sondern durch eigene Leistung Heiligkeit anstreben und verdienen wollen.

Anmerkungen:
  • Zuspruch der Vergebung im Rahmen der Beichthandlung.

Inzwischen aber, weil die Heiligung begonnen wurde und täglich voranschreitet, warten wir, dass unser Fleisch zu Tode gebracht und mitsamt allem Unrat begraben werde, dann aber herrlich hervorkomme und auferstehe zu ganzer und vollkommener Heiligkeit in einem neuen, ewigen Leben. Denn jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, damit der Heilige Geist immerfort an uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austeile bis in jenes Leben, wo keine Vergebung mehr nötig sein wird, sondern wo die Menschen ganz und gar rein und heilig sein werden, voller Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, befreit und ledig von Sünde, Tod und allem Unglück in einem neuen, unsterblichen und verklärten Leib. Sieh, das alles soll Tätigkeitsfeld und Wirkung des Heiligen Geistes sein, dass er auf Erden die Heiligkeit anfange und täglich vermehre durch die beiden Mittel: christliche Kirche und Vergebung der Sünde. Wenn wir aber verwesen, wird er es auf einmal in einem Augenblick ausführen und uns auf ewig dabei erhalten durch die beiden genannten Mittel. Dass aber hier steht »Auferstehung des Fleisches«, ist auch nicht gut deutsch geredet. Denn wenn wir »Fleisch« hören, denken wir nicht weiter als bis in den Metzgerladen. Richtiges Deutsch wäre es aber, wenn wir sagten: »Auferstehung des Leibes oder des Körpers.« Es liegt aber nicht allzu viel an der Formulierung, wenn man die Worte nur recht versteht.

Anmerkungen:
  • Im frühneuhochdeutschen Original: Leichnam. Es geht darum, dass der ganze Mensch aufersteht, nicht nur eine ätherische Seele oder dergleichen.

Das ist nun der Artikel, der immerfort in Kraft stehen und bleiben muss. Denn die Schöpfung haben wir nun hinter uns, auch die Erlösung ist ausgerichtet, aber der Heilige Geist verfolgt seine Aufgabe unablässig bis zum Jüngsten Tag, und er bestimmt dazu eine Gemeinde auf Erden, durch die er alles redet und tut. Denn er hat seine Christenheit noch nicht vollständig versammelt und die Vergebung noch nicht vollständig ausgeteilt. Darum glauben wir an den, der uns täglich zu sich holt durch das Wort und uns den Glauben gibt, ihn wachsen lässt und stark macht durch dieses Wort und die Vergebung der Sünde, auf dass er uns, wenn das alles ausgerichtet ist und wir dabei bleiben und der Welt und allem Unglück absterben, schließlich ganz und auf Dauer heilig mache. Darauf warten wir jetzt noch im Glauben.

Anmerkungen:
  • Das erhaltende Handeln des Schöpfers dauert allerdings noch an; vgl. Gen 8,22; Ps 103f.

Sieh, da hast du das ganze göttliche Wesen, Gottes Willen und Wirken mit ganz kurzen und doch inhaltsreichen Worten überaus treffend beschrieben. Darin besteht alle unsere Weisheit, die alle menschliche Weisheit, alles Begreifen und alle Vernunft weit übertrifft. Denn obwohl alle Welt sich die größte Mühe gegeben hat, zu erkennen, was Gott ist, was er plant und tut, so hat sie doch nichts davon je erreicht. Hier aber hast du alles aufs Allerreichste. Denn da hat er selbst offenbart und aufgetan den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und ganz unaussprechlicher Liebe in allen drei Artikeln. Denn er hat uns eben dazu geschaffen, um uns zu erlösen und zu heiligen, und über das hinaus, dass er uns alles gegeben und eingeräumt hatte, was im Himmel und auf Erden ist, hat er uns auch noch seinen Sohn und Heiligen Geist gegeben, um uns durch sie zu ihm zu bringen. Denn wir könnten niemals dahin kommen (wie oben erklärt), die Zuneigung und das Wohlwollen des Vaters zu erkennen, ohne den Herrn Christus, der der Spiegel von Gottes väterlichem Herzen ist und außerhalb dessen wir in Gott nichts sehen als einen zornigen und schrecklichen Richter. Von Christus aber könnten wir auch nichts wissen, wenn es nicht durch den Heiligen Geist offenbart wäre.

Darum unterscheiden uns diese Artikel von allen anderen Leuten auf Erden und sondern uns von ihnen ab. Denn was außerhalb der Christenheit ist, es seien Heiden, Türken, Juden oder falsche Christen und Heuchler, auch wenn sie nur einen wahrhaftigen Gott glauben und anbeten, so wissen sie doch nicht, wie er uns gegenüber gesinnt ist, und können auch keine Liebe oder Gutes von ihm erwarten. So bleiben sie in ewigem Zorn und Verdammnis. Denn sie haben den Herrn Christus nicht und sind mit keinerlei Gaben durch den Heiligen Geist erleuchtet und beschenkt.

Anmerkungen:
  • Gemeint sind insbesondere Anhänger nicht-monotheistischer Religionen.

Daraus erkennst du, dass das Glaubensbekenntnis eine völlig anders geartete Lehre ist als die Zehn Gebote. Denn die Zehn Gebote lehren, was wir tun sollen, das Glaubensbekenntnis aber sagt, was Gott für uns tut und uns gibt. Die Zehn Gebote sind auch ohnehin allen Menschen in die Herzen geschrieben [vgl. Röm 2,14f], den Glauben aber kann keine menschliche Klugheit begreifen, er muss allein vom Heiligen Geist gelehrt werden. Darum macht die Lehre der Zehn Gebote noch niemanden zum Christen; denn es bleibt noch immer Gottes Zorn und Ungnade über uns, weil wir es nicht erfüllen können, was Gott von uns fordert. Aber die Lehre des Glaubensbekenntnisses bringt lauter Gnade, macht uns rechtschaffen und Gott angenehm. Denn durch diese Erkenntnis bekommen wir Lust und Liebe zu allen Geboten Gottes, weil wir hier sehen, wie Gott ganz und gar mit allem, was er hat und vermag, uns zu Hilfe kommt und uns dabei unterstützt, die Zehn Gebote zu halten: der Vater mit all seinen Geschöpfen, Christus mit seinem Werk, der Heilige Geist mit all seinen Gaben.

Anmerkungen:
  • Weil die Zehn Gebote unverzichtbare Grundregeln für ein gedeihliches menschliches Zusammenleben darstellen, sind sie nach Luthers Auffassung allen Menschen bekannt und für alle verbindlich.

Damit sei genug gesagt vom Glaubensbekenntnis, um eine Grundlage für die Unkundigen zu schaffen, damit man sie nicht überfordert und sie, wenn sie das Wichtigste davon verstehen, anschließend selbst weiter nachdenken und, was sie in der Schrift lernen, hierauf beziehen und immerfort in reicherem Verständnis zunehmen und wachsen. Denn wir haben doch täglich, solang wir hier leben, daran zu predigen und zu lernen.